Dieser Beitrag ist der 1. Teil der Artikel-Serie »Komplexität klar und überzeugend vermitteln«. In diesem Teil erfahren Sie:

  • Wie Komplexität die Aufgaben der Unternehmenskommunikation erschwert.
  • Worin der Unterschied zwischen kompliziert und komplex besteht.
  • Wie Sie den Spagat zwischen Dynamik und Kontinuität in der Unternehmenskommunikation meistern und eine kommunikativ vermittelbare reduzierte Komplexität erreichen.

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Teil 1:

Komplexität anschaulich darstellen und überzeugend kommunizieren

Produkte, Prozesse, Zusammenhänge und Marktsituationen– alles wird dynamischer und komplexer. Dem muss auch die Unternehmenskommunikation Rechnung tragen. Ihre Aufgabe ist es, Transparenz, Glaubwürdigkeit, Abstimmung und Orientierung herzustellen – Reputation und Markenführung. Was die wachsende Komplexität verlangt, ist ein Spagat zwischen umweltbedingter Dynamik und unternehmerischer Kontinuität.

 

Komplexität:
Herausforderung für die Unternehmenskommunikation

Für die Unternehmenskommunikation besteht die besondere Herausforderung darin, in einem dynamischen und komplexen Umfeld mit den Mitteln der Kommunikation Stakeholdern Verunsicherung zu nehmen, Kontinuität zu vermitteln und Orientierung zu geben. Dazu müssen auch komplexe Sachverhalte anschaulich  dargestellt und überzeugend kommuniziert werden. Wie kann das gelingen?

Mithilfe von linearen Ansätzen, die durchaus geeignet sind, komplizierte Sachverhalte zu erfassen, ist Komplexität nicht zu begreifen. Warum ist das so? Was unterscheidet komplizierte und komplexe Phänomene?

 

Nicht das Gleiche: »komplex« und »kompliziert«

Auch wenn die beiden Begriffe häufig synonym verwendet werden – sie bezeichnen ganz unterschiedliche Dinge. Ein komplizierter Sachverhalt ist zunächst unüberschaubar, verwirrend – kann aber systematisch analysiert, kategorisiert und mit entsprechendem Know-how methodisch erarbeitet werden. Ein komplizierter Sachverhalt mag also einen Laien verwirren, der Experte ist jedoch aufgrund seines Fach- und Methodenwissens in der Lage, das Komplizierte zu verstehen und zu beherrschen. Eine verständliche Vermittlung komplizierter Sachverhalte gelingt daher auch mithilfe von Wissen und Know-how.

Komplexe Sachverhalte zeichnen sich durch ihre Eigendynamik, Vielschichtigkeit, vernetzten Abhängigkeiten sowie Emergenz aus, sodass eine intuitive oder schematische Erfassung nicht möglich ist. Hier stößt auch der Experte mit seinen Analyse- und Bearbeitungsroutinen an Grenzen. Denn zum einen sind die Wechselwirkungen der Elemente und Relationen in einem komplexen System nicht sicher einzugrenzen und vorherzusagen, zum anderen sind komplexe Systeme vor allem aufgrund ihrer Emergenz selbst bei einer akribischen und umfassenden Beschreibung der einzelnen Elemente und Relationen nicht erklärbar. Eine Vermittlung des Komplexen gelingt also nur insofern, dass diese Unsicherheit mit kommuniziert wird.

 

Definition von Komplexität:

»Komplexität bezeichnet den Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes.« (Wilke 2000, S. 22)

Das bedeutet: Die Komplexität eines Systems wächst mit der Zahl seiner Elemente, der Zahl der bedeutsamen Referenzebenen sowie der Art und dem Grad wechselseitiger Abhängigkeit zwischen Teilen bzw. zwischen Teilen und dem Ganzen. Zudem verweist der Begriff »Entscheidungsfeld« darauf, dass es nie Komplexität an sich gibt, sondern immer nur im Hinblick auf ein bestimmtes Problem oder einen Akteur.

 

»Komplexität bezeichnet den Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes.«

Wilke 2000, S. 22

Die Herausforderungen für die Unternehmenskommunikation besteht also darin, Produkte, Prozesse, Zusammenhänge und Situationen, die sich durch Intransparenz, Eigendynamik, Vernetzung und Emergenz auszeichnen, glaubwürdig darzustellen.

 

Wie lassen sich komplexe Sachverhalte klar und überzeugend vermitteln?

Aus Lesersicht sollte die Antwort schlicht lauten: Es auf den Punkt bringen! Also: filtern, selektieren, eindampfen.

Simpler Reduktionismus greift zu kurz

Leider ist es mit dem einfachen Weglassen von Details oder dem Ausblenden von Relationen und Abhängigkeiten nicht getan, denn eine echte Komplexitätsreduktion setzt interne Komplexität voraus: »Nur Komplexität kann Komplexität reduzieren.« (Luhmann 1984, S. 49). Zudem handelt man sich mit simplem Reduktionismus nachfolgende Probleme ein: »Missachtung von Komplexität spart zwar kognitive Energie, es bedeutet aber auch oft das Vorprogrammieren des Misslingens. (Denk 2007, S. 19)

Komplexität der Darstellung reduzieren

Nun gehört es nicht zu den Aufgaben der Unternehmenskommunikation, Komplexitätsmanagement zu betreiben, sondern lediglich Transparenz und Orientierung angesichts einer komplexen Umwelt mit kommunikativen Mitteln für die Stakeholder zu erzielen. Daher muss sie auch nicht die Komplexität als solche reduzieren – sondern die Komplexität der Darstellung dieser Komplexität reduzieren.

Das heißt, im Rahmen der Unternehmenskommunikation gelingt die Vermittlung der Umweltkomplexität, indem ein Zusammenhang mit weniger Elementen, Relationen und Ebenen konstruiert und kommuniziert wird. Wie aber werden diese relevanten Elemente ausgewählt?

 

Adäquate Binnenkomplexität statt reduktionistische Strategien

Wie werden die relevanten Elemente ausgewählt? Starre und vereinfachende Rezepte zur Reduktion greife nicht, denn es gehört ja gerade zum Wesen der Komplexität, dass die Bedeutung und Konsequenz einer Entscheidung, wie z.B. einen Aspekt als unwichtig und weglassbar zu kategorisieren, nicht abschätzbar sind.

 »Was einfach ist, ist falsch, was komplex ist, ist nicht brauchbar.«

 Paul Valéry

 

Eine zentrale Erkenntnis der Kybernetik ist im Ashbyschen Gesetz zusammengefasst, das frei übersetzt besagt: Das Ausmaß des Erfolges im Umgang mit Komplexität hängt von der Größe der Handlungsvarietät ab.

Für die Unternehmenskommunikation bedeutet das: Sollen nicht nur komplizierte, sondern auch komplexe Sachverhalte vermittelt werden, muss eine adäquate Binnenkomplexität aufgebaut werden, um der Umweltkomplexität begegnen zu können. Dazu gehören:

  • funktionale Ausdifferenzierung
  • Fachkompetenz und Erfahrung
  • Wissensmanagement
  • ganzheitliche und agile Methoden

Praktisch geschieht dies durch eine interne, arbeitsteilige Ausdifferenzierung von publizistischen Produkten und dazugehörigen Organisationseinheiten: Redakteure oder Redaktionen betreuen spezielle Themengebiete oder Spezialpublikationen widmen sich den speziellen Themen. Auf Rollenebene führt die Ausweiterung von Fachkompetenz und Erfahrung zu einer Zunahme an Handlungsvarietät, auf Prozessebene geschieht dies durch die Weiterentwicklung von Programmen, also Arbeitsroutinen im redaktionellen Alltag. Wissensmanagement leistet die notwendige Integration und Koordination.

Interessante Impulse liefert Der Toyota Weg, um stilles Wissen im Unternehmen zu nutzen. Also Wissen, das aus unmittelbarer praktischer Erfahrung erwächst und mit der Idee des iterativen und reflexiven Verbesserns kombiniert wird: »Wichtig ist dazuzulernen, über das Gelernte nachzudenken, es anzuwenden, über den gesamten Prozess zu reflektieren und alle Aspekte kontinuierlich (…) zu verbessern, (…).«

 

Drei-Punkte-Plan
für die konkrete Umsetzung
im redaktionellen Alltag

 

 Wissensstrukturen aufbauen und Muster erkennen

Fachwissen und Erfahrung bzw. Beobachtung über die Zeit helfen, kognitive Strukturen und Muster im Komplexen zu erkennen.

Mithilfe von spezifischem Know-how und der Erkundung des Sachverhalts ist es möglich, im Komplexen eine nur komplizierte Struktur oder Muster zu entdecken. Diese können dann als Ausgangspunkt für die selektive (reduzierte) Darstellung dienen.

Das bedeutet: Bevor mit der Darstellung eines komplexen Sachverhalts begonnen werden kann, sollten folgende Schritte erfolgt sein:

 

  • Sachverhalt/Thema eingrenzen und den Bezugsrahmen festlegen
  • Fachwissen, Erfahrung und Know-how einholen (intern oder extern)
  • Stilles Wissen systematisch nutzen (Toyota-Weg) und eine Atmosphäre kontinuierlicher Verbesserung schaffen
  • Mapping-Techniken anwenden, um eine systematische Erfassung von Elementen und Relationen zu ermöglichen
  • Andockstellen an kognitive Strukturen suchen (siehe nächster Punkt)

 

 Passende Selektionskriterien finden

Nutzer bzw. Leser im Fokus: Eine zielgruppenorientierte und leserzentrierte Vorgehensweise liefert die adäquaten Selektionskriterien.

Zur Erinnerung: Laut Wilke gibt es keine Komplexität an sich, sondern nur bezogen auf ein Erfahrungsfeld, also im Hinblick auf ein bestimmtes Problem und damit im Hinblick auf einen bestimmten Leser, Entscheidungsträger, Umsetzer …Von ihm als Persona ausgehend kann entschieden werden, welche Aspekte, Zusammenhänge und Ebenen relevant sind. Seine Nutzungsanforderungen definieren die Reduktionskriterien.

Führen Sie – ähnlich wie in der Softwareentwicklung – Leser-/Nutzerforschung (User Research) durch:

Welche Daten, welche Informationen, welches Wissen benötigt der Leser, um seine Aufgabe effektiv und effizient erledigen zu können?

 

  Agil, iterativ und inkrementell

Egal, wie sorgfältig die Entscheidungen zur Reduktion bei der Darstellung von Komplexität getroffen wurden – eine Komplexitätsreduktion durch Weglassen von Elementen, Relationen und/oder Ebenen ist risikobehaftet: wichtige Aspekte und Wechselbeziehungen bzw. Abhängigkeiten werden eventuell nicht berücksichtigt. Es ist also wichtig, das Weggelassene noch im Blick zu haben, um darauf zurückgreifen zu können, wenn zu einem späteren Zeitpunkt erkannt wird, dass ein ausgesparter Aspekt doch von Bedeutung ist. Ein agiles und iteratives Vorgehen trägt dem Rechnung:

Agile Methoden haben erfolgreich auch die Management-Praxis bereichert. Zu ihren Prinzipien gehören:

  • Flexibilität
  • adaptive Planung
  • schnelle Abstimmung

Vor dem Hintergrund dynamischer und komplexer Marktsituationen profitiert auch die Entwicklung von Kommunikationsmaßnahmen von der Berücksichtigung dieser Prinzipien. In einem kontinuierlichen Kreislauf von Testen, Lernen und Konzipieren (vgl. Freeling 2011, S. 53 ff.) lassen sich Marketingangebote evolutionär entwickeln. Diese sind am besten an ihre Umgebung angepasst, da Umweltveränderungen und damit neue Herausforderungen iterativ und inkrementell bei ihrer Entwicklung berücksichtigt werden.

Fazit

Simple reduktionistische Strategien sind keine Lösung, um im Rahmen der Unternehmenskommunikation den Herausforderungen durch die wachsende Komplexität zu begegnen. Ein Drei-Punkte-Plan verspricht mehr Erfolg:

  1. Die Handlungsfähigkeit im Umgang mit Komplexität durch Aufbau einer adäquaten Binnenkomplexität verbessern.
  2. Leseranforderungen ins Zentrum der Konzeptionsarbeit der Unternehmenskommunikation stellen, um passende Selektionskriterien zu erhalten.
  3. Agile Methoden zur evolutionären Entwicklung von Kommunikationsangeboten anwenden.

  So gelingt es in der Unternehmenskommunikation, Komplexität selbstregulierend zu beherrschen, um in einer dynamischen, komplexen Umwelt Kontinuität wahren und sich gleichzeitig agil verändernden Bedingungen anpassen zu können.

 

Lesen Sie im 2. Teil dieser Artikel-Serie »Komplexität darstellen«, wie Sie die Aufmerksamkeit Ihrer Leser gewinnen und sie motivieren, sich mit der Darstellung komplexer Sachverhalte auseinanderzusetzen.

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Literatur:

Bruce, Annette; Jeromin, Christoph (2016): Agile Markenführung. Wie Sie Ihre Marke stark machen für dynamische Märkte. Wiesbaden: Springer Gabler.

Freeling, Anthony (2011): Agile Marketing: How to innovate faster, cheaper and with lower risk. Goldingtons Press.

Kirchhof, Robert (2003): Ganzheitliches Komplexitätsmanagment. Grundlagen und Methodik des Umgangs mit Komplexität im Unternehmen. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Liker, Jeffrey K. (2007): Praxisbuch. Der Toyota Weg: Für jedes Unternehmen. München: FinanzBuch Verlag.

Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Wilke, Helmut (2000): Systemtheorie I: Grundlgen. Stuttgart: Lucius & Lucius.

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 Artikel-Serie
»Komplexität klar und überzeugend vermitteln

  • Teil 1: Welchen Herausforderungen sich die Unternehmenskommunikation im 21. Jh. stellen muss. Wie sich Komplexität anschaulich darstellen und überzeugend kommunizieren lässt.
  • Teil 2: Wie Sie die Aufmerksamkeit Ihrer Leser gewinnen und sie motivieren, sich mit der Darstellung komplexer Sachverhalte auseinanderzusetzen. (Erscheint demnächst.)
  • Teil 3: Wie Sie ganz konkret Hürden für den Leser senken und komplexe Informationen leichter erfassbar machen. (Erscheint demnächst.)

 

UNTERNEHMENSKOMMUNIKATION

Komplexität:  klar und überzeugend darstellen

LEISTUNGEN

… überzeugend auf allen Kanälen

PROJEKTE

Fraunhofer IIS: Strategiebericht